zur Erinnerung
Vietnamkrieg 1964 - 1975 Ronald L. Haeberle, der Fotograf des Massakers von My Lai Kaum ein anderes Ereignis hat während des Vietnamkrieges die Weltöffentlichkeit so erschüttert wie das Massaker in My Lai. Dass Bilder vom Kriegsverbrechen existieren, ist dem Gewissen und der Cleverness Ronald L. Haeberles zu verdanken. Der Fotograf trickste die US-Armee aus - und seine Bilder gingen um die Welt.

Michael Marek 12.09.2012, 07.00 Uhr

Plötzlich war überall Tod: Dorfbewohner von My Lai, auf der Flucht erschossen.
(Bild: Ronald L. Haeberle / Time & Life / Getty)

16. März 1968: Die Sonne geht gerade über dem Südchinesischen Meer auf, als Helikopter der US-Armee die kleine Ortschaft My Lai erreichen. Soldaten der "Charlie Company" umzingeln das kleine Dorf 540 Kilometer nordöstlich von Saigon. Ihr Auftrag: Aufspüren und Vernichten von Angehörigen des Vietcongs, der südvietnamesischen Kommunisten. Vier Stunden später sind 504 Bewohner tot. Das Kriegsverbrechen unter Führung von Lieutenant William Calley besiegelte den moralischen Zusammenbruch der Vereinigten Staaten in Indochina.

Schlachthaus My Lai

Bewohner von My Lai kurz vor ihrer Ermordung (16. März 1968)
Ronald L. Haeberle - "Report of the Department of Army review of the preliminary investigations into the My Lai

Das Massaker blieb vor allem wegen seiner Bilder in Erinnerung: brennende Hütten, Menschen mit aufgeschlitzten Leibern, entstellte Leichen, die zwischen Reisfeldern liegen. Ronald Haeberle erinnert sich 44 Jahre später an jedes Detail. "Wir waren mit unseren Helikoptern gelandet, da begannen unsere Leute auf alles zu feuern, was sich bewegte. Ich sah, wie einer alten Frau aus kürzester Entfernung in den Kopf geschossen wurde. Überall lagen Leichen." Mit zwei Kameras (Farbe und Schwarz-Weiss) hielt der damals 27-jährige Armeefotograf fest, wie die Mitglieder der "Charlie Company" unschuldige Frauen, Kinder und Männer ermordeten, Tiere abschlachteten, Brunnen vergifteten, Häuser und Lebensmittelvorräte in Brand steckten.

"Es war alles total irreal, sogar Babys wurden massakriert", erzählt Haeberle, "ich fragte die Soldaten, warum sie das machten, warum sie Kindern und Säuglingen in den Kopf schiessen. Ich bekam keine Antwort, sie gingen weiter und feuerten mit ihren M16 um sich." Immer wieder sexuelle Übergriffe gegen Frauen. Routine, Mordfieber und Lust sind nicht zu unterscheiden. Den Opfern werden mit Bajonetten und Messern Ohren und Köpfe abgetrennt, Kehlen aufgeschlitzt, Zungen herausgeschnitten und Skalps genommen. All das hat Haeberle detailliert festgehalten. "Es war ein Blutbad, alles unschuldige Menschen", so erinnert sich Haeberle. "Glückwünsche den Offizieren und Mannschaften zum ausgezeichneten Gefecht", telegrafiert später General William Westmoreland, Oberbefehlshaber der US-Streitkräfte in Vietnam.

Nur einer wagt den bedrängten Dorfbewohnern zu helfen: der Helikopterpilot Hugh Thompson. Er landet zwischen den Soldaten und den Dorfbewohnern. Dann fordert er über Funk Hilfe für die verwundeten Zivilisten an: "13 Vietnamesen wurden ausgeflogen. Während der ganzen Aktion hielten Thompsons Bordschützen Glen Andreotta und Lawrence Colburn mit ihren MG die eigenen Kameraden in Schach."

Zurück im Basiscamp der US-Armee, muss Haeberle seine Schwarz-Weiss-Kamera abgeben. Die Farbkamera versteckt er und behält sie für sich. "Meine Vorgesetzten haben nicht nach der Kamera gefragt." Von dem Kriegsverbrechen erzählt Haeberle zunächst niemandem. Man hätte ihn in der Armee als Nestbeschmutzer beschimpft. "Und was wäre mit meinen Kollegen passiert, die als Reporter und Fotografen beim nächsten Einsatz raus mussten? Ihr Leben wäre nichts mehr wert gewesen, verstehen Sie, vielleicht hätte man sie hinterrücks erschossen."

Dass er Armeefotograf wurde, war Zufall. "Als ich 1962 eingezogen wurde, kam ich nach Hawaii. Ich hatte meine Kamera dabei und machte Fotos vom militärischen Training", so Haeberle, "mein Vorgesetzter fand das gut. Und so wurde ich Fotojournalist in der Army." Nach Vietnam wurde er nicht abkommandiert. "Ich wollte selber dorthin. Es interessierte mich, ich wollte mit eigenen Augen sehen, was dort los ist." Als er nach My Lai mitflog, hiess es, der Ort sei "heiss", Vietcong würden sich dort verstecken. "Doch das stimmte nicht. Die US-Soldaten wurden weder angegriffen noch beschossen, noch wurden in dem Dorf Waffen und Mitglieder des Vietcongs gefunden."

Ungläubiges Staunen

Im April 1968, noch vor der Veröffentlichung seiner Fotos, wird Haeberle "ehrenhaft" aus der US-Armee entlassen. Danach beendet er sein Studium und arbeitet zeitweise als Fotograf in Cleveland. In seiner Heimatstadt stellt Haeberle eine Diashow zusammen, die er auf öffentlichen Veranstaltungen zeigt, auch dem Rotarier-Klub. "Ich wollte wissen, wie die Leute darauf reagieren." In die Mitte der Diaserie mit Aufnahmen aus seiner Dienstzeit placiert er die Bilder des Massakers von My Lai. Ungläubiges Staunen im Publikum, erinnert sich Haeberle, "die Leute konnten sich nicht vorstellen, dass US-Soldaten solche Verbrechen begangen haben. Eine Frau meinte, ich hätte mir eine Seifenoper für Hollywood ausgedacht."

Haeberle liefert Aufnahmen, die später zur Aufklärung des Kriegsverbrechens beitragen. Zunächst gelingt es dem US-Militär, die Ermordung der Dorfbewohner zu vertuschen - bis im November 1969 Haeberles Fotos in verschiedenen US-Medien erscheinen, zuerst im "Cleveland Plain Dealer" und dann im renommierten "Life Magazine". Dafür erhält Haeberle im selben Jahr den "Dead Line Award" der New Yorker Journalistenvereinigung. Geehrt fühle er sich bis heute nicht, so Haeberle, "und es macht mich auch nicht stolz, über das Massaker berichtet zu haben. Aber mit meinen Bildern konnte das Kriegsverbrechen bewiesen werden."

Die Vereinigten Staaten sind schockiert: Die eigenen Soldaten, Vorkämpfer für Freiheit und Demokratie gegen den Kommunismus, entlarvt als eine Bande von Massenmördern. Die US-Armee setzt den Drei-Sterne-General William Peers als Sonderermittler ein. In seinem Abschlussbericht beschreibt Peers auf mehr als 20.000 Seiten das Bild einer maroden Militärführung. Und er belegt, dass die Geschehnisse in My Lai nicht die Ausnahme, sondern die Regel während des Vietnamkrieges waren.

Knapp ein halbes Jahrhundert später berichtet Ronald L. Haeberle mit ruhiger Stimme von den Geschehnissen. Dass er damals auf den Auslöser der Kamera drücken konnte, verwundert ihn bis heute. "Ich war total schockiert. Ich stand irgendwie neben mir, als wäre ich ganz weit weg. Wissen Sie, es war Krieg. Während des Mordens haben die Soldaten sogar Mittagspause gemacht. Ich habe auch das fotografiert, ich wollte diesen Wahnsinn dokumentieren."

Als einen Robin Hood sieht er sich nicht, "aber mit meinen Bildern wollte ich den Leuten zeigen, dass wir Amerikaner nicht einfach nur die Guten waren". Kriegsfotograf habe er nach My Lai nie werden wollen, sagt Haeberle. Mit seiner Vorgeschichte wäre er immer als Denunziant abgestempelt worden. Seit dem ersten Golfkrieg sei es ohnehin undenkbar, dass Kriegsjournalisten nicht genehmigte Aufnahmen veröffentlichten, ganz zu schweigen, dass jemand seine Kamera sozusagen am US-Militär vorbei benutzen könne. Ob es richtig sei, dass die Medien Bilder der Gewalt veröffentlichen? Ja, resümiert Haeberle, mit einer Ausnahme: Die Erschiessung Usama bin Ladins hätte man nicht zeigen sollen.

Haeberle lebt heute 30 Kilometer südwestlich von Cleveland in einem schmucklosen Vorort: weiss gestrichene Einfamilienhäuser, Doppelgaragen, gepflegte Vorgärten, Mittelstand. Freundlich und ungezwungen geht es bei ihm zu Hause zu. An den Wänden hängen Miró-Drucke, auf dem Kaminsims stehen ein blaues Gefäss (Ashes for old lovers) und der "Dead Line Award", eine hässliche Plastik aus Bronze. Haeberles grosse Leidenschaft sind Fahrräder. Er sammelt Bikes. Sein ganzer Stolz ist die neueste "Rennmaschine" aus Kohlefaser. Haeberle ist mittlerweile 71, Rentner und noch immer sportlich. Zweimal ist er nach Vietnam als Tourist zurückgekehrt, zuletzt 2011. "Ich habe eine Fahrradtour von Hanoi nach Ho-Chi-Minh-Stadt (ehemals Saigon) unternommen." Auch in My Lai war er ("Das war eine innere Verpflichtung"), die Gedenkstätte hat er ebenfalls besucht: "Das war für mich eine Geste der Ehrerbietung an die Opfer."

Begegnung mit einem Ãœberlebenden

Ronald L. Haeberle ist ein rationaler Mensch, keine Gefühlsausbrüche, wenn er über das Morden von damals spricht. Bis heute hat er keine Albträume. Er spricht gelassen und mit wenigen Gesten, stets zuvorkommend und freundlich, im grauen T-Shirt (I love Laos), in verwaschener Bluejeans und mit schütterem Haar. Großgewachsen ist er, mit wachem Blick und eleganter Designerbrille. Nur im letzten Jahr sei er den Tränen nahe gewesen, sagt Haeberle, als er einen Überlebenden getroffen habe. "1968 hatte ich eine sterbende Mutter fotografiert, die im Todeskampf ihr Baby und ihren kleinen Sohn zu schützen versuchte."

Auf Haeberles Fotos sind die schweren Verletzungen der Mutter zu sehen. In den Medien wird dieses Bild nur selten gezeigt - es ist zu grausam, zu schockierend. Der 6-jährige Knabe von damals lebt mittlerweile in Deutschland. Duc Tran Van, 51, und der Fotograf von My Lai sind Freunde geworden. Haeberle ist innerlich bewegt: "Ich habe Duc die Kamera gezeigt, mit der ich die Bilder von ihm und seiner sterbenden Mutter aufgenommen habe. Die Kamera und die Bilder sind ein starkes Band zwischen uns!" Heute befindet sich Ronald L. Haeberles Kamera von 1968 bei Duc Tran Van in Remscheid. Sie steht auf einem kleinen Altar vor dem Bild seiner ermordeten Mutter. Haeberle hatte sie ihm geschenkt.

Bis heute haben die USA keine Entschädigung an die überlebenden Opfer gezahlt. Haeberle hält von solchen Wiedergutmachungsleistungen überhaupt nichts. "Und wissen Sie warum? Das Geld würde diejenigen, die es brauchten, nie erreichen. Die US-Regierung sollte vielmehr alles dafür tun, damit Vietnam von den Resten des hochgiftigen Entlaubungsmittels Agent Orange gereinigt wird. Im ganzen Land steckt das gefährliche Zeug noch im Boden und vergiftet alles. Das würde den Menschen wirklich helfen!"


Quelle: NZZ


Massaker von My Lai Wie ganz normale Amerikaner zu Kindermördern wurden Um möglichst viele Vietcong zu töten, landeten US-Soldaten im März 1968 in dem Dorf My Lai. Dort richteten sie unter Frauen und Kindern ein Blutbad an. Es wurde zum Wendepunkt des Vietnamkrieges.

Veröffentlicht am 15.03.2018 | Lesedauer: 5 Minuten

Von Florian Stark

My Lai, 16. März 1968: Ein Knäuel menschlicher Körper auf einem Feldweg, darunter viele Babys und Kleinkinder
Quelle: picture alliance / CPA Media Co.

Sergeant Ronald L. Haeberle diente als Fotograf der US Army in Südvietnam, als er für den 16. März 1968 einen scheinbar alltäglichen Auftrag erhielt: Er sollte die Company C, 1. Bataillon, 20. Infanterieregiment, 11. Brigade, 23. Infanteriedivision bei einem Einsatz gegen Vietcong-Guerillakämpfer in My Lai in der Küstenprovinz Quang Ngai begleiten und dabei den "Body Count" dokumentieren. Darunter verstand die US-Führung die Zahl der getöteten Feinde als wichtige Kennziffer für den militärischen Erfolg, der nach der Tet-Offensive des Vietcongs im Januar 1968 wichtiger denn je war. Nach vier Stunden konnte Haeberle die Tötung von 504 Vietnamesen fotografieren: das größte Massaker von US-Truppen an Zivilisten

Lesen Sie auch

Vietnamkrieg
"Für jeden Toten bekommt ihr einen Preis"

Der Ort My Lai wurde zum Symbol der brutalen Kriegführung in Vietnam und zum Wendepunkt des Krieges. Denn Haeberle verkaufte seine Aufnahmen für 50.000 Dollar an das US-Magazin "Life", das die Bilder im Dezember 1969 schließlich veröffentlichte. Amerikas Öffentlichkeit war entsetzt und wandte sich zunehmend gegen einen Krieg, der nicht nur nicht zu gewinnen schien, sondern der die G.I.s offensichtlich zu einer mörderischen Soldateska verbog. My Lai öffnete die Augen für den Schrecken, den fast ein halbe Million Soldaten im Dschungel Südostasiens erlebten, erlitten - und veranstalteten.

Seit Wochen hatten die Männer der C-Company versucht, ihre Quoten im Body Count zu erfüllen. Doch der Gegner entzog sich ihnen geschickt im Urwald, wo Scharfschützen, Minen und Sprengfallen lauerten. "Pinkville" nannten die G.I.s sarkastisch die Gegend. 40 Mann, ein Drittel der Einheit, waren bereits verwundet oder getötet worden. Längst verhielten sich die Südvietnamesen, auf deren Seite die Amerikaner doch zu stehen meinten, reserviert bis feindlich. "Man begann sich zu fragen, wer auf welcher Seite stand", erinnerte sich Fred Widmer, Funker der C-Company.

"Wenn es ein Haus ist, zündet es an", befahl Hauptmann Ernest Medina
Quelle: picture alliance / CPA Media Co.

Als sich die Truppe für ihren Einsatz vorbereitete, erklärte ihnen ihr Kompaniechef Hauptmann Ernest Medina: "Wenn es ein Haus ist, zündet es an; wenn es ein Brunnen ist, vergiftet ihn; wenn es lebt, tötet es." In diesem Sinn erhielt jeder G.I. dreimal so viel Munition wie üblich - 540 Schuss pro Mann. Damit, so Medina, sollten seine Leute ihren "gesunden Menschenverstand" bei der anstehenden Säuberung gebrauchen. Helicopter brachten die Männer am frühen Morgen nach My Lai.

Doch statt des erwarteten 48. Vietcong-Bataillons trafen die Soldaten nur auf unbewaffnete Bauern und ihre Familien. Ob aus Enttäuschung, um ihre Rache zu befriedigen oder den Body Count doch noch zu erfüllen: Die G.I.s begannen umgehend ein Massaker. Die Soldaten mähten die Menschen mit MGs nieder, erstachen sie mit dem Bajonett, sprengten ganze Gruppen mit Granatwerfern in die Luft oder verbrannten sie in ihren Hütten. In völliger Enthemmung vergewaltigten US-Soldaten auch Mädchen und Frauen, bevor sie ihre Opfer töteten.

Innerhalb von vier Stunden wurden 504 vietnamesische Zivilisten getötet
Quelle: picture alliance / CPA Media Co.

Haeberle hielt das Morden mit der Kamera fest. Ein Knäuel menschlicher Körper auf einem Feldweg, darunter viele Babys und Kleinkinder; eine weinende Frau stellt sich schützend vor ein kleines Mädchen, dem die Panik im Gesicht steht. "Sekunden später wurden sie erschossen", berichtete Haeberle. Vier Stunden dauerte das Morden, zählt man die befohlene Lunchpause mit.

Als der Hubschrauberpilot Hugh Thompson zu einem Aufklärungsflug über dem brennenden My Lai eintraf, war ihm sofort klar, dass sich da unten ein Kriegsverbrechen abspielte. In einem Wassergraben sah er rund 100 tote Zivilisten. Er sah auch, wie Captain Medina auf eine angeschossene Vietnamesin eintrat und mit seiner M16 auf die Frau feuerte. Thompson entschloss sich zur Landung. Ein Dutzend Menschen bewahrte er vor dem Tod, indem er den Verfolgern drohte, seine Bordschützen auf sie schießen zu lassen - und die Vietnamesen im Hubschrauber evakuierte.

My Lai steht für das größte Massaker von US-Soldaten an Zivilisten
Quelle: picture alliance / CPA Media Co.

In Briefen an das Weiße Haus und Mitglieder des Kongresses schrieb der Vietnamveteran Ron Ridenhour, im Zivilberuf Journalist, später, was ihm Teilnehmer des Massakers berichtet hatten: Man ließ die Verwundeten und Sterbenden einfach liegen. "Es war klar, dass sie keine Hilfe bekommen würden", habe ihm einer der G.I.s erzählt. "Ich würde sagen, wir haben sie erledigt."

Damit setzte Ridenhour eine interne Untersuchung der Operation in Gang, bei der nach offizieller Darstellung nur "rund 20 Zivilisten unbeabsichtigt ums Leben gekommen" waren. Die Ermittlungen führten im Herbst 1969 zur Anklage von Leutnant William Calley als befehlshabendem Offizier des 1. Platoon der C-Company. Doch erst der Bericht des investigativen Journalisten Seymour Hersh (der dafür den Pulitzer-Preis erhielt) in "Life" und die Fotos von Ronald Haeberle brachten das Blutbad an die Öffentlichkeit: Amerikas "Kampf für die Freiheit" hatte aus ganz normalen Amerikanern enthemmte Kindermörder und Vergewaltiger gemacht. Hunderttausende gingen in Washington und San Francisco gegen den Vietnamkrieg auf die Straße.

Dennoch konnte sich US-Präsident Richard Nixon nicht zu einem harten Durchgreifen entschließen. Captain Medina berief sich auf höhere Befehle und wurde von einem Militärgericht freigesprochen. Auch Leutnant Calley argumentierte mit dem Befehlsnotstand, wurde aber zu lebenslanger Haft verurteilt. Umgehend wandelte Nixon die Strafe in einen Hausarrest um und begnadigte ihn schließlich. Erst 2009 zeigte Calley in einem Vortrag so etwas wie Bedauern: "Ich fühle Reue für die Vietnamesen, die getötet worden sind, für ihre Familien, für die amerikanischen Soldaten, die dabei waren, und für deren Familien."

Das Pentagon richtete eine Arbeitsgruppe ein, die "Vietnamkriegsverbrechen" aufarbeiten sollte. Sie förderte mehr als 300 Vorwürfe von Übergriffen an den Tag, von Massakern über Folter und Vergewaltigungen bis hin zu Brandschatzungen und Verstümmelungen. Einige Dutzend Soldaten wurden angeklagt, die meisten nach relativ kurzer Zeit wieder begnadigt.

Doch es wurde deutlich, dass der Krieg in Vietnam auch mit solchen Methoden nicht zu gewinnen war. Im Januar 1973 unterzeichneten die Vereinigten Staaten das Pariser Abkommen und zogen sich aus dem Land zurück. Ende April 1975 verließen die letzten US-Soldaten fluchtartig Saigon.

Berief sich auf Befehlsnotstand: Leutnant William L. Calley (Jg. 1943)
Quelle: picture alliance / Everett Colle

Ein US-Hubschrauber nimmt auf dem Dach eines Appartmentgebäudes in Saigon, knapp einen Kilometer von der US-Botschaft entfernt, am 29. April 1975 fluchtwillige Vietnamesen auf
Quelle: Bettmann/CORBIS
mit KNA/epd


Quelle: welt.de


© infos-sachsen / letzte Änderung: - 17.07.2023 - 09:04